Die Ursprünge des Pleicher Handwerkerhauses in der Pleicherkirchgasse 16 können relativ genau auf das Jahr 1521 datiert werden. Somit ist es das älteste, nach den Zerstörungen des 2.Weltkrieges erhaltene Würzburger Bürgerhaus. Das Gebäude verfiel im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend und ihm drohte der Abriss, ehe es 1994 vom Verschönerungsverein gekauft, saniert und somit für die Zukunft gerettet wurde.
Die Pleich
Der
Stadtteil Pleich, heute gibt es noch die Unterteilung in Innere
Pleich südlich und Äußere Pleich nördlich des Ringparks, grenzt
unmittelbar nördlich an die Innenstadt Würzburgs an. Im Mittelalter
lag er außerhalb der Stadtmauer, die ungefähr auf Höhe der
Juliuspromenade verlief. Die Pleich muss schon damals einigermaßen
dicht besiedelt gewesen sein. Im Keller des Handwerkerhauses wurden
bei Ausgrabungen Keramikscherben aus der Zeit des 8. bis 12.
Jahrhunderts gefunden. 1133 schließlich wird die Kapelle St.
Gertraud zur Pfarrkirche erhoben. Sicherlich waren die ersten Häuser
einfache Bauten aus Holz, zumindest aber für die straßenseitige
Bebauung darf noch vor dem 16. Jahrhundert teilweise von Steinbauten
ausgegangen werden.
Ihren Namen hat die Pleich aufgrund
des Baches Pleichach, der zusammen mit der Kürnach durch sie floss
und anschließend in den Main mündete. Aufgrund der relativ guten
Wasserversorgung siedelten sich dort vorwiegend Handwerker und
Gewerbe an, die auf viel Wasser angewiesen waren. Zu ihnen zählten
Gerber, Färber und Metzger worauf die heutigen Straßennamen, wie
Gerberstraße, verweisen.
Das älteste Bürgerhaus Würzburgs
Durch
archivalische Quellen lässt sich die Besitzgeschichte des Pleicher
Handwerkerhauses relativ sicher rekonstruieren. Der Erbauer und erste
Besitzer war ein Metzger, der 1510 als Bürger aufgenommen wurde.
1521 erbaute er schließlich das Haus. Dies lässt sich mit
ziemlicher Sicherheit sagen, da dendrochronologische Untersuchungen,
Untersuchungen der Jahresringe des Bauholzes also, das Fälldatum des
Holzes auf den Winter 1520/21 datieren. Ein weiterer Grund für die
relativ sichere Bestimmung des Datums der Fertigstellung ist die
Tatsache, dass auf dem Dachboden eine Wetterfahne gefunden wurde mit
eben jener Jahresangabe.
Schon damals hatte es fünf
Geschosse. Der Keller und das Erdgeschoss waren gemauert, die darüber
liegenden Stockwerke waren Fachwerkgeschosse, deren Innen- wie
Außenseiten farbig verziert waren. Das Erdgeschoss diente als
Werkstatt und Laden, die Obergeschosse als Wohnräume, die nur über
eine außen am Gebäude angebrachte Treppe erreicht werden konnten.
Zumindest in den ersten Jahren hatte die Feuerstelle in der Küche
keinen Kamin. Das Handwerkerhaus war also, wie es damals üblich war,
ein Rauchhaus, bei dem der Rauch durch die oberen Stockwerke zog. Die
Dachgeschosse, deren Balken Rußspuren aufweisen, können folglich
kaum als Wohnraum genutzt worden sein.
Dagegen war die
Technik des Fachwerks äußerst innovativ. Ohne sich zu sehr in der
Bauforschung zu verlieren sei doch erwähnt, dass man bisher glaubte,
dass die Technik des Verzapfens der einzelnen Bauteile sich erst um
1550 durchgesetzt hätte. Davor wiesen Bauten eigentlich nur die
Verblattungstechnik oder beide Techniken gleichzeitig auf. Das
Handwerkerhaus hingegen hat durchweg verzapfte Verbindungen und zählt
damit zu den frühesten Häusern in Unterfranken, bei denen diese
Technik konsequent angewandt wurde.
Spätere Umbauten
In
der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde in Würzburg sehr viel gebaut.
Schon 1612/13 wurde die Kirche St. Gertraud im Echter-Stil
grundlegend modernisiert. Nach Ende des 30-jährigen Krieges setzte
dann ein richtiggehender Bauboom ein. Durch die Entwicklungen in der
Kriegstechnik musste die ganze Stadtbefestigung erneuert werden, was
viel Platz beanspruchte, weswegen die Vorstädte, und somit auch die
Pleich, in den Befestigungsgürtel aufgenommen wurden.
Der
erste größere Umbau des Handwerkerhauses fand wohl um 1665 statt.
Dabei wurden zum Teil die Räume neu organisiert und neu
ausgestattet, die Fenster vergrößert und eine Innentreppe
eingebaut. Die Decken wurden teilweise mit Stuckdekoration versehen
und das ganze Gebäude verputzt.
Auch aus dem 19. Jahrhundert ist ein Umbau überliefert. Bei diesem wurden im 1. und 2. Obergeschoss Zwischenwände aus Ziegeln eingezogen, die später zu massiven Problemen führen sollten. Statische Berechnungen waren damals nicht so genau, wenn sie überhaupt durchgeführt wurden. Durch das zusätzliche Gewicht der Wände verbogen sich die Decken der darunterliegenden Geschosse. Eingebaute Stützpfeiler trugen nicht viel zur Stabilisierung des Gebäudes bei.
Rettung in letzter Sekunde
Das Handwerkerhaus überstand den 2. Weltkrieg und besonders den verheerenden Luftangriff auf Würzburg fast unbeschadet. Hatten die umliegenden Bereiche meist Schäden von mindestens 50% oder waren total zerstört, so wies der Häuserblock des Handwerkerhauses gemäß des Schadenplans der Würzburger Chronik von 1945 von Hans Oppelt nur einen geringen Schaden von 5-10% auf.
Nach dem Wiederaufbau, bei dem keine grundlegenden Veränderungen der Bausubstanz vorgenommen wurden, war das Gebäude bis in die 70er Jahre noch bewohnt, verfiel aber schon zunehmend. Mit dem Leerstand kamen dann Vandalismus und umfangreicher Verfall. Die ganze Pleich lag im Niedergang. Gründe hierfür waren die Ansiedlung von größeren Gewerbebetrieben, der zunehmende Verkehr und die Verschlechterung der Wohnsubstanz. Immobilienspekulation und das Fehlen einer leitenden Hand von Seiten der Stadt taten ihr Übriges.
Ab 1993 setzte sich der Verschönerungsverein Würzburg (VVW) für den Erhalt des Hauses ein. Dabei gingen die Meinungen, ob das Gebäude noch zu retten sei, weit auseinander. Nicht zuletzt die Kostenschätzung in Höhe von 1,5 Millionen Mark, die für die Instandsetzung aufzubringen wären, und die geringe Aussicht auf ausreichend öffentliche Fördergelder ließen einige an dem Projekt zweifeln. Aber wer, wenn nicht der VVW sollte sich dem Haus annehmen? Ein auswärtiger Geschäftsmann bekundete zwar Interesse, fraglich war aber ob auch für ihn denkmalpflegerische Aspekte oberste Priorität gehabt hätten. So entschied sich im Sommer 1994 die Mitgliederversammlung des VVW bei nur zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung für den Kauf und die denkmalgerechte Sanierung.
Sanierung und Finanzierung
Im November 1994 wurde der Kauf notariell beurkundet und die Verhandlungen um Fördergelder begannen. Diese verliefen zwar nicht ohne Rückschläge, Anfang 1996 konnte man aber auf verbindliche Zusagen in Höhe von 900.000 Mark zählen. Dies waren je 300.000 Mark vom Entschädigungsfond des Kultusministeriums und von der Regierung von Unterfranken, 200.000 Mark von der Stadt Würzburg und 100.000 Mark von der Bayerischen Landesstiftung.
So konnten die Arbeiten im Sommer 1996 beginnen. Zuvor hatte der Verein mit Alfred Wiener einen Architekten gefunden, der bereits auf einige vorbildlich sanierte Baudenkmäler verweisen konnte und mit Friedrich Staib einen Mitarbeiter hatte, der über das Haus seine Diplomarbeit geschrieben hatte. So hätten die Voraussetzungen für eine harmonische und erfolgreiche Zusammenarbeit, deren äußerstes Ziel der maximale Erhalt historischer Substanz war, nicht besser sein können.
Die Restauratoren Britta und Peter Pracher unterzogen das Haus einer intensiven Befunduntersuchung, bei der viele Detailfragen geklärt und historische Zusammenhänge wie auch Farbfassungen entdeckt werden konnten. Statiker des Büros Reuter und Mittnacht konnten das Fachwerkgerüst durch den Einbau von Stahlseilen stabilisieren. Die nachträglich eingebauten Zwischenwände, die mit ihrem Gewicht die Decken destabilisierten, wurden entfernt und das Dach saniert. Die beschädigten Dachziegel konnten durch zahlreiche Spenden der Würzburger gegen alte, gut erhaltene Dachziegel ausgetauscht werden. Nach fast drei Jahren Bauzeit konnte das Pleicher Handwerkerhaus am 04. Dezember 1998 eingeweiht werden.
Die große Leistung aller an der Sanierung Beteiligten sieht man dem Gebäude schon von Weitem an. Deshalb erhielt das Projekt 1998 auch einen Sonderpreis der Jury des Antonio-Petrini-Preises, eines Preises für besonders gelungene Baumaßnahmen in Würzburg, für die „herausragende architektur- und kunsthistorische wie auch handwerkliche und restauratorische Leistung“ bei der Sanierung.
Die heutige Nutzung
Kommerzielle Interessen traten bei der Sanierung wie auch der Erstellung des neuen Raumkonzepts so weit wie nur irgendwie möglich in den Hintergrund. Folglich werden die Räumlichkeiten nicht intensiv genutzt.
Im Kellergewölbe mit seinem ansprechenden Ambiente finden nur selten Veranstaltungen statt. Im Erdgeschoss haben die Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte ihre Geschäftsstelle, die Dienstag bis Freitag von 14-18 Uhr geöffnet ist. Darüber befindet sich die Geschäftsstelle des VVW mitsamt Küche und Besprechungsraum, im 2.Stock eine Mietwohnung und im Dachgeschoss ein kleines Hausmuseum mit Funden, die bei der Sanierung des Gebäudes zum Vorschein kamen. Darunter auch die genannte Wetterfahne von 1521.
Der VVW bewies mit der Rettung des Handwerkerhauses, dem einzigen erhaltenen spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Bürgerhauses Würzburgs, dass die Erhaltung alter und maroder Bausubstanz zwar kostenintensiv sein kann, zumindest aber möglich und vor allem lohnenswert für die Geschichte und das Bild einer Stadt ist und wünscht sich viele Nachahmer.
Verwendete und weiterführende Quellen und Literatur:
Schulz, Erhard / Heistermann, Christoph / Pracher, Britta / Staib, Friedrich / Heyse, Dieter: Das Handwerkerhaus in der Pleicherkirchgasse 16 und das bürgerliche Investitionsverhalten in Würzburg. In: Ante, Ulrich (Hrsg.): Würzburg und seine Region. Würzburger Geographische Arbeiten, Heft 100 (2007), S. 21-59.
Verschönerungsverein Würzburg: Für die Medien. Das Handwerkerhaus in der Pleich. Archiv VVW.
Ziegler, Lioba: Die Pleich. Ein Stadtviertel vor seiner Sanierung. Würzburg 1980.